Führungskräfte sind schon aufgrund ihrer Rolle in der Organisation ständig wachsendem Druck ausgesetzt. Einerseits müssen sie immer anspruchsvollere Strategien der übergeordneten Hierarchie verwirklichen und in Ergebnisse umsetzen. Andererseits sind sie die Ersten, die die Frustrationen und Spannungen ihrer Mitarbeiter mitbekommen, mit der Aufgabe, diese in der Hierarchie nach oben zu vermitteln. Der Druck in dieser Vermittlerrolle wird durch die Krise im Umfeld noch verstärkt.
Autoren: Jean-Marc Riss, Vincent Held – Übersetzung: Angelika Saugy
Im Laufe der letzten Jahre haben die Organisationen ihre alten, pyramidenförmigen Strukturen verlassen und sich um Prozesse und Netzwerke strukturiert. Auch wenn diese Reorganisationen schnellere und flexiblere Reaktionen ermöglichen, verlangen sie im Gegenzug einen grösseren Einsatz der Führungskräfte in Bezug auf ihre Fähigkeit sich in einer unsicheren Umgebung zu bewegen. Die traditionelle Unterstützung der Organisation und der Hierarchie lässt nach, und wachsender Stress – in Begleitung unterschiedlichster psychosomatischer Krankheiten! – kann daraus resultieren.
In diesem Kontext entstand die Methodik des Management durch Coaching (MPC™). Diese Management-Methode berücksichtigt sowohl tätigkeitsbezogene als auch personenbezogene Unternehmensprozesse und ermöglicht so die Entwicklung jeder beruflichen Mission (d.h., Tätigkeiten beispielsweise betreffend den direkten Vorgesetzten der Führungskraft, ein Direktionsmitglied, einen wichtigen Kunden, usw.). Daraus erfolgt eine Struktur, ähnlich einer vereinfachten Projektleitung, kompatibel mit einer Prozessorganisation, welche die dazugehörenden personellen Kompetenzen mit integriert.
Die Tätigkeit des Managers in Form von Projekten zu entwickeln und den mitbeteiligten personellen Faktor zu integrieren, bewirkt eine Berücksichtigung der gesamten Komponenten der beruflichen Aufgabe, von der einfachsten bis zur komplexesten. Weiterhin kann dieser Ansatz als „systemisch“ bezeichnet werden, da er die Gesamtheit der Partner, der Kompetenzen, der Finanzen und Prozesse berücksichtigt, die mit der Mission der Führungskraft in Zusammenhang stehen.
Die zweite Besonderheit des MPC™-Ansatzes ist, dass an eine Person appelliert wird, welche die Führungskraft während des gesamten Projektes begleitet. Diese Rolle des „Coaches“, unternehmensintern oder –extern, hilft dabei, einen Gesamtüberblick zu bewahren und die Zustimmung und Unterstützung der beteiligten Personen zu erhalten. Die regelmäßige Kontrolle der Anforderungen (Deadlines, Kosten, Qualität, usw.) gehört ebenso zu diesem Begleitprozess. Ein System der andauernden Validierung durch die Partner wird so erstellt. Dadurch können sowohl die beruflichen Ziele, als auch die Suche nach Wohlbefinden verfolgt werden. Schließlich hat die Führungskraft wiederum die Aufgabe, diesen Ansatz nach dem System des Dominoeffektes an ihre Mitarbeiter weiterzugeben.
Etappen des MPC™ Coaching-Prozesses
Der Begleitprozess durch das MPC™ (Abbildung) beginnt mit einer doppelten Standortbestimmung zur Feststellung der Abweichungen zwischen den Projektanforderungen und den aktuellen Kompetenzen der Führungskraft.
- Zunächst ermöglicht das Audit des Projekts dessen Umfang zu bestimmen, die Pluspunkte und Schwachstellen festzustellen, sowie die Entwicklungsachsen und die Prioritäten der notwendigen Aktionen festzulegen, die benötigt werden, um das gesteckte Ziel zu erreichen. Diese vorbereitende Etappe ist wesentlich, denn wenn die Erwartungen schlecht definiert sind – oder die Auftraggeber (dies können auch Direktions- oder Verwaltungsratsmitglieder sein) – sich nicht einig sind, kann das Projekt leicht fehlschlagen! In dieser Phase wird der Aufgabe, der Ziele (quantitativ und qualitativ) und der Mittel (technischer und personeller Art) ist, die der Führungskraft zur Verfügung stehen.
- Parallel dazu zeigt die Bilanz der Kompetenzen des Managers die Stärken und Schwächen auf, die er für dieses Projekt mitbringt. Als Ergebnis dieser Etappe kann ein persönlicher Entwicklungsplan durch den Manager und seinen Coach erstellt werden, damit das Projekt gut gelingen kann.
Auf Basis dieser doppelten Evaluation (des Projektes und der Person) kann nun ein Zielvertrag zwischen der Führungskraft, ihrem Vorgesetzten und dem Coach geschlossen werden. Dieser Zielvertrag ist um so besser, je klarer die Formulierung der Werte, der Mission, der Ziele (quantitativ und qualitativ) und der Mittel (technischer und menschlicher Art) ist, die der Führungskraft zur Verfügung stehen.
Von diesem Vertrag ausgehend wird das Projekt strukturiert. Es geht darum folgende Punkte festzulegen: die projekteigenen Werte, eine spezifische Mission, die Erfolgsindikatoren, einen Aktionsplan, eine Organisation und Planung bei der die gegebenen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden (Budget, Ressourcen, Mittel und Termine). Der so erstellte Projektfahrtplan dient somit als Instrument zur Projektverfolgung und Kontrolle. Seine Existenz vereinfacht die Delegierung einiger Projekt-Unterpunkte und bietet gleichzeitig einen umfassenden Gesamtüberblick.
Dieser Projektfahrtplan wird durch seinen doppelten Informationsfluss (technisch und personell), zu einem Werkzeug der Stärkung des Teamzusammenhaltes. Schließlich wird er im Laufe von zwischenzeitlich stattfindenden Besprechungen aktualisiert. Der Zeitpunkt dieser Besprechungen ist abhängig von dem für die Umsetzung der Aktionen angestrebten Rhythmus.
Ein Anwendungsbeispiel
Wir möchten dieses Thema anhand eines realen Falles erläutern. Yvette ist 40 Jahre alt und hat fast 20 Jahre Berufserfahrung im Bereich Marketing. Sie ist Projektleiterin für die Führung eines multinationalen Unternehmens mit Sitz in der Schweiz. Im Zuge eines Unternehmenszusammenschlusses wird sie für einen Regionalmarkt verantwortlich und ist von heute auf morgen Leiterin eines 10-köpfigen Teams. Zuvor hatte sie noch nie mehr als 4 Teammitglieder zu betreuen…Hinzu kommen noch einige laufende Projekte aus ihrer vorherigen Funktion.
Schnell kann Yvette feststellen, dass die Umstrukturierung dem Team geschadet hat, und dass die Mitarbeiter sehr kritisch und misstrauisch sind. Die Spannung in der ihrer Meinung nach „aus starken Persönlichkeiten“ bestehenden Gruppe ist spürbar, und ziemlich heftige Wortwechsel finden statt. Zudem war das Team von ihrem Vorgänger etwas vernachlässigt worden (es gab beispielsweise keinerlei Koordination die Kundenbetreuung betreffend). Um das Ganze noch zu komplizieren, ist das Team auf zwei Standorte verteilt.
Mehrere Faktoren spielen also bei dem inneren Druck und Stress von Yvette eine Rolle: ihre geringe Management-Erfahrung, die Notwendigkeit ihren Bereich zu reorganisieren, die große Anzahl an laufenden Projekten und die existierenden Spannungen innerhalb des neuen Teams. Die daraus folgende Überlastung könnte dazu führen, dass sie ihre neue Verantwortung nicht zufriedenstellend ausfüllen kann. Auf Anfrage ihres Vorgesetzten wurde vereinbart, dass eine Begleitung auf Basis des MPC™ stattfinden soll um ihr dabei zu helfen, sich in ihre neue Rolle einzufinden und sie bei der Reorganisation des neuen Tätigkeitsbereiches zu unterstützen.
Die Ausgangsbewertung von Yvettes persönlichen Kompetenzen hat zunächst ihre Stärken aufgezeigt, wie: ein hohes Engagement, eine Fähigkeit schnell Entscheidungen zu treffen, ein starker Wille Ziele zu erreichen, eine grosse Fähigkeit sich neuen Herausforderungen zu stellen, sowie auch eine konsistente und genaue Art der Kommunikation. Einige Schwachpunkte wurden auch aufgedeckt, beispielsweise eine sehr hohe Unabhängigkeit und ein mittlerer Grad an Teamfähigkeit. Außerdem wurde Yvettes Führungsfähigkeit stark von ihrer Zurückhaltung beeinflusst. Die Kombination dieser Stärken und Schwächen barg für Yvette das reelle Risiko von Anfang an die Ziellatte zu hoch zu setzen; sie könnte die Tendenz haben im Alleingang nach vorne zu preschen und auf dem Weg einige Mitarbeiter zu verlieren. Die Kommunikation war teilweise auf einen „Frage-und-Antwort-Modus“ begrenzt und schien zur Unterstützung ihres Managements nicht ideal zu sein.
Parallel hierzu hat das Projektaudit Yvette aufgezeigt, wo die hauptsächlichen potentiellen Blockaden der Aktivität lagen. Es wurden vor allem wesentliche Lücken in der Kundenbetreuung, sowie eine Arbeitsüberlastung im administrativen Bereich aufgezeigt. Diese Problematiken konnten als Unterprojekte behandelt werden, auf welche die Methodik des MPC ebenso angewandt wurde wie auf das Haupt-Projekt.
Die Frage der Unterstützung im administrativen Bereich wurde als prioritär eingestuft. Die Analyse der administrativen Situation hat so ermöglicht, die Gesamtheit der zu erledigenden Aufgaben zu sammeln, unter Berücksichtigung des Zeitaufwandes, der hierfür jede Woche anfiel. Sehr schnell wurde klar, dass diese Aktivitäten zwar für das Funktionieren der Abteilung notwendig waren, aber zuviel der Zeit in Anspruch nahmen, die für das Team-Management benötigt wurde. So wurde beschlossen einige dieser Aufgaben an eine Verwaltungsassistentin weiterzugeben, die dem Team zusätzlich in Teilzeit zur Verfügung gestellt wurde. Einerseits ermöglichte dies Yvette eine große Zeiteinsparung und verursachte ihr weniger Stress. Andererseits konnte sie so ihr Team auf wesentlich effizientere Weise unterstützen.
Die Anwendung des MPC™-Ansatzes hat Yvette unter anderem dazu gebracht, vor jeder wichtigen Handlung eine Situationsanalyse vorzunehmen. Sie kann auf diese Art und Weise regelmäßig Abstand nehmen und den Gesamtüberblick behalten. Weiterhin hat sie ihre Fähigkeit zuzuhören verbessert und schließt ihre Mitarbeiter schrittweise mehr und mehr in die Entscheidungsfindung mit ein. Der regelmässige Dialog mit dem Team ermöglicht es ihr, öfter ein Feedback zu geben.
Ein Jahr nach Beginn dieser Vorgehensweise hat Yvette wesentliche Veränderungen in ihrer Aktivität festgestellt, an die sie sich nach „einem großen Moment des Zweifelns“ gewöhnt hat. Sie hat die Organisation ihres Teams in die Hand genommen: das Kundenportfolio ist zwischen den Verkäufern klar aufgeteilt, die Planungen sind allen bekannt, die Ziele eindeutig definiert. Dies ermöglicht ihr ebenso eine Koordinierung der Aktivitäten ihrer Mitarbeiter wie auch die Darstellung der Ergebnisse inmitten der Organisation. Ihre Mitarbeiter haben den Eindruck, dass ihre Arbeit mehr geschätzt wird als bei dem Vorgänger und die Besten haben letztendlich das Team nicht verlassen, obwohl mehrere von ihnen dies geplant hatten. Als Krönung hierzu ist der jährliche Umsatz im zweistelligen Bereich gewachsen!
Auf persönlichem Niveau stellt Yvette fest, dass sie bei der Präsentation ihrer Projekte besser mit Kritik umgehen kann, wenn jemand eine Schwachstelle aufzeigt. Sie kann auch leichter eine Diskussion eingehen. Zuvor neigte sie dazu, die Debatte schnell zu beenden.
Ein weiteres Element das zu einem grösseren Wohlbefinden beigetragen hat, ist die Fähigkeit, mehr delegieren zu können. Sie überträgt mehr Verantwortung an ihre Mitarbeiter, während sie zuvor gewohnt war alles „auf sich alleine zu nehmen“. Das Erlernen dieser Fähigkeit wurde durch die Definition von Unterprojekten unterstützt. So wurde mittels Delegierung der MPC™-Ansatz an die Mitarbeiter weitergegeben.
Schlussfolgerung
Das Fallbeispiel von Yvette illustriert die Tatsache, dass die Methodik des MPC sich sowohl als nützliche Unterstützung für die Effizienz am Arbeitsplatz sowie auch für das persönliche Gleichgewicht des Managers erweisen kann. Die Vorteile dieser Methodik strahlen auch auf die Gesamtheit der betroffenen Partner aus und helfen, die Übereinstimmung zwischen der Funktion und den Kompetenzen des Managers zu konsolidieren. Dies wird wie durch einen Schneeballeffekt auch auf sein Team übertragen. Die üblichen, zur Ausübung einer Managementfunktion benötigten Tools wie Entscheidungsfindung, Delegierung, Planung, Einbezug und Entwicklung von Mitarbeitern, Konstruktion von Erfolgsindikatoren oder auch die Erstellung von Aktionsplänen werden auf natürliche Weise im Rahmen der Anwendung der Methode realisiert.
Seit 1995 haben hunderte von Managern von einer auf der MPC-Methodik basierenden Begleitung profitiert, entweder in Form eines Coachings oder als Coaching-Ausbildung. Diese empirische Erfahrung hat uns zu der Feststellung geführt, dass diese Vorgehensweise sich sowohl eignet für Mitglieder der Direktion von großen Gruppen als auch Manager, die für kleine Teams verantwortlich sind und wenig Managementerfahrung haben. Gelegentlich konnte der MPC™-Ansatz, ebenfalls mit Erfolg, bei Mitarbeitern ohne Führungsverantwortung angewandt werden (kaufmännischen Angestellten, Informatikern, Verwaltungsangestellten…).
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